Page images
PDF
EPUB

1842.

ANNALEN

No. 1.

DER PHYSIK UND CHEMIE.

BAND LV.

I. Ueber die Ausdehnung der Gase durch die Wärme; von Gustav Magnus 1).

Seitdem man überhaupt weifs, dafs die Luft durch die

Wärme sich ausdehnt, oder vielmehr seit 200 Jahren, wo Drebbel zuerst diese Ausdehnung benutzte um Unterschiede in der Wärme zu bestimmen, ist man zu allen Zeiten bemüht gewesen dieselbe zu messen. Nachdem während des ganzen vorigen Jahrhunderts die widersprechendsten Resultate von den bedeutendsten Physikern erhalten worden waren, hat Hr. Gay-Lussac 2) zu Anfang dieses Jahrhunderts in einer sehr umfassenden Arbeit die Ausdehnung der trocknen Luft zwischen 0° und 100° zu 0,375 ihres Volumens bei 0° gefunden, und zugleich gezeigt, dafs alle Gase und Dämpfe sich um denselben Werth innerhalb dieser Temperatur ausdehnen. Fast zu derselben Zeit hatte auch Hr. Dalton 3) in Manchester denselben Gegenstand untersucht und gefunden, dafs 1000 Theile Luft von 55° F. sich um 321 Theile ausdehnen, wenn sie bis 212° F. erwärmt werden, hierzu rechnete er noch 4 Theile für die Ausdehnung des Glases, und erhielt dadurch eine Vermehrung des Volumens um 0,325. Berechnet man hieraus die Ausdehnung der Luft von 32° F. bis 212° F., so findet man dieselbe = 0,372 vom Volumen der Luft bei 55° F. Diese Zahl stimmte so gut mit der von Hrn. Gay-Lus

1) Gelesen in der Academie der Wissensch. am 25. Nov. 1840.

2) Annales de Chimie XLIII. 137.

3) Memoirs of the Literary and Philosoph. Society of Manchester. Vol. V. Part. II. 598.

Poggendorff's Annal. Bd. LV.

1

1

sac gefundenen überein, dafs man wahrscheinlich deshalb vergessen hat, dafs für diese letztere das Volumen der Luft bei 0° C. als Einheit angenommen ist. Denn nimmt man für die von Hrn. Dalton gefundene Ausdehnung dieselbe Einheit, so ergiebt sich diese 0,3912. Auf diesen Irrthum hat schon Gilbert ) bald nach der Bekanntmachung der Dalton'schen Untersuchung aufmerksam gemacht, doch scheint ihn Hr. Dalton selbst übersehen zu haben, wie aus seinem New System of chemical Philosophy hervorgeht 2). Vielleicht hat schon diese irrthümliche Uebereinstimmung zwischen dem Resultate des Hrn. Dalton und dem des Hrn. Gay-Lussac dazu beigetragen, diese, durch den wissenschaftlichen Ruf des Hrn. Gay-Lussac schon hinlänglich verbürgte Zahl, als vollkommen sicher zu betrachten; noch mehr aber hat ohne Zweifel die Bestätigung dazu gedient, welche Hr. Gay-Lussac durch eine, von der ersten ganz verschiedene, zweite Untersuchung lieferte. Diese ist zwar niemals vom Verfasser selbst bekannt gemacht worden, doch hat sie Hr. Biot in seinem Traité de Phys. I. 181. mitgetheilt. Seitdem aber auch die HH. Dulong und Petit, Physiker, die in Betreff ihrer Zuverlässigkeit und Genauigkeit das gröfste Vertrauen geniefsen, diesen Coëfficienten durch eine neue Methode bestätigt 3), und in ihrer classischen Arbeit über die Wärme als Maafs für die Vergleichung der Ausdehnung aller anderen Körper

1) Gilbert's Annalen XIV. 266.

2) Rudberg in diesen Annalen XLIV. 123.

[ocr errors]

3) In ihrer Untersuchung über die Ausdehnung der Gase bei höherer Temperatur, Annales de Ch. et de Phys. II. 249. sagen die HH. Dulong und Petit ausdrücklich: Nous ne nous proposions nullement de vérifier par là une détermination sur laquelle on ne peut élever aucun doute; mais la coïncidence de notre résultat avec celui de Mr. Gay-Lussac a été pour nous la meilleure preuve de la rigoureuse exactitude du procédé dont nous nous sommes servis."

zu Grunde gelegt haben, wurde derselbe als eine der sichersten Zahlen in der Physik betrachtet.

Wiewohl fast während vier Decennien Niemand die Richtigkeit dieses Werthes bezweifelt hatte, trat vor einigen Jahren Hr. Rudberg in Upsala mit einer neuen Arbeit über die Ausdehnung der Luft hervor, durch welche er jedoch die Gay-Lussac'sche Zahl nicht bestätigte, sondern statt derselben 0,3646 als Mittel aus seinen Beobachtungen erhalten hatte.

Hr. Rudberg hat zwei verschiedene Methoden für seine Untersuchung benutzt, die er in diesen Annalen Bd. XLI. p. 271 und XLIV. p. 119 bekannt gemacht hat '). Sie sind beide ganz abweichend von den früheren Methoden, haben aber beide dasselbe Resultat geliefert. So genau indefs auch die Arbeit des Hrn. Rudberg ist, so sehr auch die Sicherheit ihres Resultates durch die Anwendung zweier abweichenden Methoden erhöht wird, so sprach doch das Ansehn der früheren Experimentatoren gegen die von ihm gefundene Zahl; und da derselbe sich nur mit der Ausdehnung der atmosphärischen Luft beschäftigt, und seine Arbeit weder auf andere Gase ausgedehnt, noch sich auf eine Kritik der Gay-Lussacschen Arbeit eingelassen hat, so ist man allgemein zweifelhaft, ob der von ihm gefundene Coëfficient ohne Bedenken angenommen werden dürfe oder nicht.

Der Tod hat leider Hrn. Rudberg bald nach der Vollendung der erwähnten Untersuchung, zum grofsen Verlust für die Wissenschaft hinweggenommen, so dass durch ihn seine Arbeit für andere Gasarten nicht ausgedehnt werden konnte. Da jetzt fast 5 Jahre seit der Bekanntmachung derselben verflossen sind, ohne dafs Jemand etwas zur Entscheidung des Gegenstandes veröffentlicht hat, so entschlofs ich mich, denselben von Neuem zu untersuchen, wohl wissend, dafs von einer solchen Arbeit, so zeitraubend und mühevoll sie auch ist, kein 1) S. auch Vetenscaps Academiens Handlingar för 1837; p. 140, 194.

Ruhm zu ernten sey, da es sich bei derselben nur darum handelt, entweder den einen oder den andern der schon bekannten Zahlenwerthe zu bestätigen. Es schien mir aber zu wichtig, zu wissen, ob eines der allgemeinsten Gesetze der Physik richtig sey oder nicht, ob nämlich alle Gasarten sich um denselben Coëfficienten ausdehnen oder nicht. Ferner ist dieser Coëfficient selbst, so unbedeutend der Unterschied zwischen 0,375 und 0,365 auch erscheinen mag, abgesehen von seinem Einfluss bei der astronomischen Refraction und bei den Messungen von Höhen mittelst des Barometers, von so grofsem Einfluss für seine mannigfaltigen übrigen Anwendungen, dass es mir vor allem Andern nöthig schien, denselben wieder fest zu stellen. Denn es ist bekannt, dafs die Ausdehnung der Luft, seit der Untersuchung der HH. Dulong und Petit fast ganz allgemein als Maass für die Temperatur benutzt wird, und von welchem Einfluss hierfür der erwähnte Unterschied ist, leuchtet von selbst ein. Aber aufserdem sollen, wie Hr. Gay-Lussac gefunden, die Dämpfe sich ebenfalls um 0,375 ausdehnen. Es ist daher bei der vielfältigen technischen Anwendung der Wasserdämpfe nicht nur von practischem Interesse, zu wissen, ob diese Zahl die richtige ist oder nicht, sondern dieselbe mufs auch bei einer grofsen Menge von rein wissenschaftlichen Untersuchungen zu Grunde gelegt werden. Unter denen ich nur die für die Chemie ganz unentbehrlich gewordene Methode zur Bestimmung der Contraction, welche bei chemischen Verbindungen stattfindet, und zur Bestimmung des specifischen Gewichts der Körper im dampfförmigen Zustande, erwähnen will.

Da die Methoden des Hrn. Rudberg, die derselbe ganz ausführlich mitgetheilt hat, durchaus keinen Irrthum vermuthen lassen, andererseits es aber kaum denkbar erscheint, dafs die HH. Dulong und Petit genau dasselbe Resultat gefunden haben sollten als Hr. Gay-Lussac, und dennoch der von diesem gefundene Zahlen

werth falsch seyn sollte, so glaubte ich, dafs es möglich wäre, dafs beide Coëfficienten richtig seyen. Wenn nämlich die Luft bei der Temperatur von 100° nicht mehr genau dem Mariotte'schen Gesetze folgen sollte, so mufste Hr. Rudberg, der nur die Veränderung der Elasticität bestimmt hat, einen anderen Werth erhalten haben, als Hr. Gay-Lussac, der die Veränderung des Volumens bei constanter Elasticität beobachtete. Es schien mir aus diesem Grunde vorzugsweise wünschenswerth, nach der Methode des Hrn. Gay-Lussac, die Ausdehnung der Luft von Neuem zu untersuchen. Ausserdem aber hoffte ich hierdurch am leichtesten die Ursache der Verschiedenheit beider Resultate auffinden zu können. Ich wandte die zweite Methode des Hrn. GayLussac an und zwar im Wesentlichen ganz so wie sie von Hrn. Biot in seinem Traité de Physiq. beschrie

ben ist.

Da indefs dort nicht erwähnt ist, wie grofs die Kugeln, und wie weit die Röhren gewesen sind, die Hr. Gay-Lussac benutzte, so untersuchte ich zuerst, bei welchem Durchmesser der Röhren ein Quecksilber - Tropfen dieselben noch stempelartig verschliefst und weder durch Schütteln noch Klopfen Luft durchläfst. Ich wandte jedoch Röhren an, die einen viel geringeren Durchmesser hatten. Die gröfste Weite, die ich benutzte, betrug 2,5 Millimeter, bei vielen Versuchen aber nur 1,0 Min. Die Grösse der Kugel war so, dafs die Ausdehnung der Luft eine Länge von etwa 0,2 Meter in der Röhre einnahm. Kugel und Röhre wurden mit trocknem Quecksilber gefüllt und dies in ihnen ausgekocht, dann wurde eine Röhre mit geschmolzenem Chlorcalcium an das offene Ende luftdicht befestigt, und ganz so wie es Hr. Gay-Lussac vorschreibt, mittelst eines eisernen Drathes oder eines Glasfadens, der durch die Röhre mit Chlorcalcium hindurch ging, das Quecksilber aus der engen Röhre und der Kugel so weit abgelassen, dass

« PreviousContinue »